Technische Überwachung
Wasserstoff: saubere Energie, sicher geliefert

Grün erzeugter Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger der Energiewende. Mit dem geplanten Ausbau der Infrastruktur rücken verstärkt Sicherheitsfragen in den Fokus. Sachverständige sorgen dafür, die Risiken beherrschbar zu machen.
Wasserstoff, das erste Element im Periodensystem, ist vierzehnmal leichter als Luft. Viele Expert:innen sehen in dem farb- und geruchlosen Gas das fehlende Puzzlestück der Energiewende. Im Prinzip sind nur Wasser und Strom nötig, um per Elektrolyse diesen gut speicherbaren Energieträger zu erzeugen. Stammt der dabei eingesetzte Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind oder Solar, spricht man von klimaschonendem, also zumindest CO2-armem Wasserstoff. „Die aktuelle Legislaturperiode ist das entscheidende Zeitfenster, um dem Wasserstoffhochlauf in Europa neuen Schub zu geben“, appelliert der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) an die neue Bundesregierung. Gemeinsam mit Akteuren aus der energieintensiven Industrie drängen deshalb zahlreiche Verbände auf eine europäische Wasserstoff-Allianz – also eine gemeinsame Strategie für Infrastrukturen, Regelwerke und auch Wasserstoffimporte aus sonnen- und windreichen Ländern. Für den Erfolg der Wasserstofftechnologie ist dabei eines besonders entscheidend: der Faktor Sicherheit. Die Forderungen nach einem im besten Falle internationalen Standardisierungs- und Zertifizierungssystem werden deswegen immer lauter.
Wasserstoff-Enthusiasten mussten zuletzt einige Dämpfer verarbeiten. Zum einen wurden die politischen Signale von Kennern überwiegend als zögerlich bewertet. Zudem passierte mehrfach genau das, was nicht passieren soll – eine Havarie mit H2, und das mitten in Deutschland. Nur acht Tage, nachdem der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im Juni 2024 eine Wasserstofftankstelle bei Augsburg feierlich eröffnet hatte und dabei eigenhändig einen Sattelzug betankte, brach im Betrieb ein Feuer aus. Wasserstoff konnte mit hohem Druck austreten, in einer Verpuffung entzündete sich das Gas. Laut den Ermittlern war in einem Verdichter ein Bauteil gebrochen. Dieser Verdichter unterlag keiner Prüfpflicht durch eine Zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS). Nur wenige Wochen darauf die nächste Hiobsbotschaft: In einem Chemiepark in Leuna verpuffte Wasserstoff. Daraufhin fingen Transportbehälter Feuer. „Zum Glück kam in beiden Fällen niemand zu Schaden“, sagt Dieter Drews, Sachverständiger bei TÜV Rheinland. „Aber auf Glück dürfen wir uns natürlich nicht verlassen. Wir brauchen professionelle Skepsis und verstärkte Schulungen. Viele Ereignisse sind letztlich auf Fehlhandlungen von Bedienpersonal zurückzuführen.“
Für Drews sind die Unfälle eine Mahnung: „Der Umgang mit Wasserstoff ist längst nicht vollständig erforscht.“ Eine Sammlung von physikalisch-chemischen Effekten des Wasserstoffs wäre für die Arbeit von Ingenieur:innen und Techniker:innen bedeutsam – etwa, wenn es um Materialversprödung metallischer Werkstoffe unter gasförmigem Wasserstoff gehe. „Diese Effekte stellen sich immer nur unter bestimmten Betriebsbedingungen ein. Sind diese nicht ausreichend bekannt oder verstanden, sind potenzielle Sicherheitsrisiken im Bereich des Möglichen“, sagt Drews. Er sei aber optimistisch, dass über Forschung und Entwicklung die Wissensdefizite zu schließen sind. „Man muss dann die sicherheitsrelevanten Ergebnisse so schnell wie möglich in Normen und technische Regelwerke überführen.“
Besondere Herausforderungen im Umgang mit Wasserstoff
Als der britische Naturwissenschaftler Henry Cavendish 1766 Wasserstoff entdeckte, nannte er ihn nicht ohne Grund „brennbare Luft“. Zwar ist Wasserstoff in seiner reinen Form tatsächlich nicht brennbar, aber in einer Mischung mit Sauerstoff hat er als Knallgas hohe Brisanz. „Im Vergleich der relevanten sicherheitstechnischen Kennzahlen mit Erdgas weist Wasserstoff überwiegend die kritischeren Werte auf“, erklärt Drews. Die Flamme ist bei Tageslicht kaum wahrnehmbar, zudem genügt für einen Brand oder eine Explosion sehr geringe Zündenergie. Schon Späne, die in einem Rohr aus Kohlenstoffstahl vom Gas mitgerissen werden, könnten beim Aufschlagen an die Rohrinnenseite genug Energie freisetzen, um ausströmenden Wasserstoff zu entzünden.
ZÜS-Expertise entlang der Prozesskette gefragt
Damit der Umgang mit dem Gas so sicher wie möglich gelingt, arbeiten alle Beteiligten aus Energiewirtschaft, Industrie, Wissenschaft und dem Prüf- und Regelwesen mit Hochdruck an Lösungen und Verfahren. Flankiert wird der Hochlauf durch die „Normungsroadmap Wasserstofftechnologien“ – hier suchen fünf Arbeitskreise gezielt nach Wissensdefiziten. Entlang der komplexen Prozesskette von der Erzeugung etwa in Elektrolyseuren über den Pipeline-Transport, die Lagerung in unterirdischen Kavernen bis zur konkreten Nutzung vor Ort werden Sachverständige der ZÜS sowie anerkannten Prüf- und Inspektionsstellen eingeschaltet. Ihre Expertise in Sachen Explosionsschutz und Überwachung von Druckanlagen, Pipelines und Kavernenspeichern ist auch bei der Definition und Überarbeitung des technischen Regelwerks gefragt.
„Den Prüforganisationen kommt zugute, dass sie auf jahrzehntelange Erfahrung mit Erdgas zurückgreifen können. Wir setzen beim Wasserstoff auf vielen Standards auf“, sagt Ralf Middelhauve, Sachverständiger beim TÜV Nord. „Gerade im Ruhrgebiet ist Wasserstoff aus der Prozess-Chemie bestens bekannt.“ Der Pipeline-Experte ist auch im Bundesumweltministerium in Wasserstofffragen beratend tätig. Auch wenn es um die Regelsetzung für den sicheren Energietransport geht, ist die Expertise unabhängiger Sachverständiger gefragt. „Regelwerkstechnisch sind wir fast fertig im Gashochdruckleitungsbereich und mittendrin im Kavernenspeicherbereich“, sagt Middelhauve. Sein Fazit: „Vieles ist mit Erdgas vergleichbar, die Risiken sind beherrschbar.“
Pläne der neuen Bundesregierung
Die Industrie steht in den Startlöchern, die Gaswirtschaft will großflächig die Umstellung auf Wasserstoff vorantreiben. Viele Initiativen wurzeln in einer geopolitischen Risikoabwägung, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat. Wasserstoff ist aber auch gefragt als Alternative zu klimaschädlichen fossilen Brennstoffen, die durch die CO2-Bepreisung immer teurer werden. Nun richten sich die Blicke auf die neue Bundesregierung: „Auch wir Sachverständige beobachten gespannt, mit welchem Nachdruck der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft fortgeführt wird“, sagt Middelhauve. Hatte die Ampelkoalition mit der Überarbeitung der nationalen Wasserstoffstrategie den Willen zum Umbau deutlich bekräftigt, taucht Wasserstoff im neuen Koalitionsvertrag an zwei Stellen vergleichsweise beiläufig auf.
Umrüstung der Infrastruktur in vollem Gange
Unterdessen läuft die Umrüstung der Infrastruktur: Im Oktober 2024 hat die Bundesnetzagentur das sogenannte Wasserstoffkernnetz genehmigt – ein Megavorhaben. Die Rohrleitungen gelten als künftiges Rückgrat der Versorgung in Deutschland: Von 2025 bis 2032 sollen laut Bundesnetzagentur mehr als 9.000 Kilometer in Betrieb gehen. Darüber hinaus muss das kleinteilige Verteilnetz mit einer Gesamtlänge von derzeit über 560.000 Kilometern wasserstofffähig gemacht werden. „Wir schreiben derzeit viele H2-Ready-Gutachten, in denen geprüft wird, ob Altanlagen von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden können“, sagt Middelhauve. Bei Armaturen und Verdichtern sieht er größere Herausforderungen auf die Branche zukommen als beim Rohrleitungssystem.
Dennoch bleibt die Frage: Sind die bisher für Erdgas genutzten Altleitungen ohne Weiteres für die viel kleineren Wasserstoffmoleküle tauglich? Bei Rohren und Pipelines ist vor allem das Phänomen der möglichen Wasserstoffversprödung der Metallwände ein Thema. Davon spricht man, wenn sehr kleiner, atomarer Wasserstoff in das Kristallgitter eines Metalls eindringen kann, etwa an Schweißnähten oder kleinen Fehlerstellen. Julio Miguel Guerra, Wasserstoffkoordinator und Inspektionsstellenleiter für Gashochdruckleitungen beim TÜV NORD, bleibt gelassen: „Schon die vorhandene Oxidschicht im Rohr verhindert das Eindringen. Und dass dieser Vorgang zum Versagen des Bauteils führt, gilt aufgrund unser Erfahrungen als eher unwahrscheinlich.“ Zudem seien die Pipelinestähle mit größeren Wanddicken versehen und damit äußerst zäh. „Verwendet werden sehr gutmütige Stähle, bei denen gilt: Leck vor Bruch“, sagt Miguel Guerra. Man hätte also genügend Zeit für eine Instandsetzung. Und viele der Leitungen liegen zudem tief im Boden, wo eine Zündung ohnehin kein Thema ist.
Die Überprüfung der Rohre geschieht vielfach über den Einsatz sogenannter „intelligenter Molche“, erklärt Ralf Middelhauve. Diese Sonden werden gemeinsam mit dem Medium durch die Pipeline getrieben und detektieren etwa über Ultraschall oder Magnetstreuflussverfahren die Materialbeschaffenheit. „Alle 15 bis 20 Jahre sollte der Pipelinebetreiber seine Rohre molchen“, sagt Middelhauve, der zwei Bücher zum Thema geschrieben hat. „Wenn Betreiber auf Wasserstoff umstellen, müssen die ihre Leitungen verstärkt auf Dichtheit kontrollieren.“ Dafür sorge bereits der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), der laut Energiewirtschaftsgesetz als sogenannter Regelsetzer für seine Wasserstoffinfrastrukturen benannt ist.
Sicherheit auch bei Wasserstoffspeichern im Blick
Auch bei der Speicherung des Wasserstoffs in Kavernen, also unterirdischen Hohlräumen in Salzstöcken, sehen die TÜV-Experten viele Parallelen zum geübten Erdgas-Handling. So wird in Gronau in einem Pilotprojekt ein vorhandener Erdgasspeicher so vorbereitet, dass ab 2026 laut Plan Wasserstoff mit über 200 bar Druck eingespeist werden kann. „Wir haben die Sicherheitstechnik im Griff“, erklärt Julio Miguel Guerra, der als Projektleiter für den TÜV NORD beteiligt ist. Dank der Nähe zum Wasserstoffkernnetz und einem im Aufbau befindlichen Groß-Elektrolyseur in Lingen, der bis 2027 auf 300 Megawatt Erzeugungsleistung ausgelegt ist, könne Gronau zu einem wichtigen Knotenpunkt für die Wasserstoffversorgung in Deutschland werden.
Trotz der Erfahrungswerte: viele offene Fragen zu klären
Auch wenn beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft viel Erfahrung und Know-how aus dem klassischen Erdgasbereich helfen: Bestimmte Themen bleiben Neuland. Ein Beispiel ist das Vorhaben, den Windstrom aus Offshore-Anlagen gleich auf hoher See für den Betrieb von Elektrolyseuren zu nutzen. „Betriebswirtschaftlich könnte es laut Experten um den Faktor vier günstiger sein, den in der Nordsee erzeugten Wasserstoff gleich durchs Meer über Pipelines abzutransportieren“, sagt Dieter Drews, um sogleich auf ein Problem hinzuweisen: „In Deutschland gibt es dafür gar keine Regulatorik. Auf See zielen alle vorhandenen Vorschriften nur auf den Transport von Bodenschätzen wie Erdöl und Erdgas. Und das DVGW-Regelwerk gilt nur an Land.“ Klar ist: Es sind solche offenen Fragen zu Sicherheitsstandards entlang der Prozesskette, bei denen auch auf die Experten der ZÜS noch viel Arbeit zukommt.